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1. Zeitgenössische und historische Architektur in Graz
Wer an Grazer Architektur denkt, denkt sofort an den Hauptplatz, das Opernhaus und natürlich den Schloßberg (ja, der Grazer Schloßberg wird immer noch mit ß geschrieben!) mit dem Uhrturm. Das mittelalterliche Stadtzentrum zählt zu den am besten erhaltenen in ganz Europa und die malerische Altstadt mit ihren Architekturschätzen aus verschiedenen Epochen gehört seit 1999 zum UNESCO-Weltkulturerbe. Aus diesem Grunde ist Graz unter Liebhabern historischer Architektur ein wohlbekanntes Juwel. Doch die Landeshauptstadt der Steiermark hat noch mehr zu bieten. Sie ist kein Freiluftmuseum mit altehrwürdigen Baudenkmälern, sondern heißt auch heute noch zeitgenössische Architektur willkommen.
Bereits Mitte der 1970er Jahre entstand die „Grazer Schule“, die Traditionen über Bord warf und sich auch um aktuelle Entwicklungen wenig kümmerte. Heute sind die damals aufbegehrenden Architekten der Grazer Schule angesehene Professoren an in- und ausländischen Fakultäten. Ein wichtiges Jahr war 2003, als die Stadt an der Mur zur Kulturhauptstadt Europas auserkoren wurde. Anlässlich dieser Ehrung wurden etliche interessante neue Bauwerke in der Stadt errichtet, wie beispielsweise die Stadthalle, die Helmut-List-Halle, das Grazer Kunsthaus oder die Murinsel.
Es ist also nicht überraschend, dass Graz mit zahlreichen Highlights der modernen Architektur auftrumpfen kann: der neu renovierten Hauptbibliothek der Universität Graz mit ihrer freitragenden Konstruktion aus Stahl und Glas, dem 2018 fertiggestellten Argos-Apartmentgebäude mit seinen riesigen Glubschaugen, dem gewagten Science Tower als Teil des Smart City-Projekts, dem provokant auffälligen Gewerbe- und Bürogebäude MP09 mit seiner langen Auskragung und seiner schwarzen Fassade, dem MUMUTH – House of Music & Musiktheater mit seinem monochromen Metallgitter an der Außenseite, dem Frog Queen genannte Prisma Engineering-Gebäude mit seiner außergewöhnlichen Fassade sowie etlichen anderen interessanten Bauwerken. Die zeitgenössische Architektur wurde geschickt konzipiert und fügt sich harmonisch in das Stadtbild ein. Sie verbindet sich mit der geschichtsträchtigen Architektur der Stadt zu einem gelungenem Ganzen.
2. Kunsthaus Graz
Das Kunsthaus Graz ist eines der Gebäude, die im Rahmen des Kulturhauptstadtjahres 2003 errichtet wurden. Das unübersehbare, hochmoderne und fremdartig anmutende Gebäude der englischen Architekten Peter Cook und Clan Fournier ragt wie ein Alien über den roten Ziegeldächern der Stadtteile Gries und Lend empor. Seine Schöpfer bezeichneten das Bauwerk als „Friendly Alien“ und auch der The Guardian schreibt, das Grazer Kunsthaus mit seiner „quirky blob“ Architektur wirke vom Schloßberg aus gesehen wie ein mitten in der Stadt gelandetes UFO. Die renommierte britische Tageszeitung stellte an ihre Leser die Frage, wohin man in Europa reisen sollte, um großartige, moderne Architektur zu sehen. In der Umfrage landete der Grazer „Außerirdische“ auf dem ersten Platz. Bei vielen Grazern stieß das ungewöhnliche Objekt zunächst auf Hassliebe, denn so manch einer konnte sich mit dem tiefblauen, fremdartigen Gebilde nicht anfreunden. Doch das Objekt avancierte in kurzer Zeit zu einem der bekanntesten Gebäude der Stadt und heute kann sich kaum noch jemand Graz ohne sein Kunsthaus vorstellen.
Wie bereits im Guardian erwähnt, ist das Kunsthaus Graz stilistisch der Blob-Architektur zuzuordnen. Typisch für diese auch als Nicht-Standard-Architektur oder Freiform-Architektur bezeichnete Architekturrichtung sind komplexe, fließende, oft gerundete und biomorphe Formen, die auf Freiformkurven (Splines) beruhen und erst durch moderne Entwurfssoftware für Architekten denkbar wurden. Damit hebt sich das Kunsthaus Graz von anderen Ausstellungsgebäuden zeitgenössischer Kunst ab, die oftmals dem Konzept des „White Cube“ (Präsentation von Kunst in weißen Räumen) folgen.
Von der Straße lässt sich der Glassockel gut erkennen, auf dem die „Blase“ („Bubble“) scheinbar schwerelos aufliegt. Die äußerste Gebäudehaut besteht aus mehr als tausend gebogenen Acrylplatten, die dem Kunsthaus seine charakteristische, dunkelblaue Farbe verleihen. Die Acrylplatten sind mit fast tausend Lichtern ausgestattet, mit denen Texte und einfache Bilder dargestellt werden können und die das Gebäude in der Nacht beleuchten. Zum Schutz vor Dachlawinen sind auf der Blase zahlreiche kleine Kegelhöcker angebracht.
Ein weithin sichtbares Merkmal des Gebäudes sind 16 Lichteinlass-Rüssel („Nozzles“) auf der Blase. 15 davon sind in einem Winkel von etwa 45° schräg nach oben und nach Norden bzw. Nordwesten orientiert. Der 16. ist deutlich tiefer und flacher angesetzt und weist genau auf den Uhrturm am Schloßberg.
Im Kunsthaus befinden sich übereinander liegend, zwei Ausstellungsflächen, die durch schräge Laufbänder erschlossen werden. Durch die Galerie des oberen, überwölbten Raumes gelangt man auf eine rundum verglaste Stadtloggia („Needle“), die über das Nachbargebäude, das denkmalgeschützte Eiserne Haus ragt. Das Kunsthaus Graz zeigt österreichische und internationale Kunst seit 1960 und ist Teil des Universalmuseums Joanneum.
3. Grazer Murinsel
Auch die Grazer Murinsel wurde 2003 im Rahmen des Kulturhauptstadtjahres eröffnet. Ursprünglich war das vom amerikanischen Künstler und Designer Vito Acconci entworfene künstliche Eiland lediglich als temporärer Blickfang gedacht, wurde aber zu einer bleibenden Attraktion. Die Stadt hat ihre in der Mur verankerte Insel mit einem Café (Insel-Café) und einer Openair-Bühne ausgestattet.
Die Murinsel liegt flussaufwärts des Edegger-Stegs, ein wenig nördlich der Hauptbrücke, zwischen dem Schloßberg und dem Kunsthaus. Das spektakuläre Objekt ist eine Konstruktion aus Glas und Stahl, die wie eine halboffene Muschel geformt ist. Die 50 m lange und 20 m breite Insel ist mitten im Fluss verankert und über zwei Fußgängerbrücken mit beiden Ufern verbunden. Ihre komplexe Konstruktion aus Stahlrohren verleiht der Insel Stabilität und bildet zugleich das Kuppeldach für eine futuristisch anmutende künstliche Landschaft. Das aus der Verbindung der Formen „Kuppel“ und „Muschel“ entstandene rundliche Gebilde wird vom Künstler „Dom“ genannt.
Damit die Murinsel auch Hochwassern standhalten kann, sind ihre Brücken gelenkig gelagert und die Schwimmkörper wurden durch einen Pfahl in ihrer Lage fixiert. Trotzdem ergaben sich in der Vergangenheit einige Probleme, so war infolge des Hochwassers des 21. Juli 2012 die Murinsel mehrere Tage lang gesperrt.
* Titelfoto: Kunsthaus Graz, vom Schloßberg aus gesehen. Quelle: 123rf.com