Der Pogusch ist ein 1059 m ü. A. hoher Alpenpass in der Obersteiermark, der die Verbindung zwischen den Gemeinden Turnau und Sankt Lorenzen im Mürztal herstellt. Auf der Passhöhe befindet sich das Wirtshaus „Steirereck am Pogusch“ mit seinem Hauptgebäude und Nebengebäuden. Auf dem Grundstück gegenüber dem „Bründl-Wanderweg“ befindet sich ein Altbestand bestehend aus einem Wirtshaus, Beherbergungsgebäuden und einem bäuerlich genutzten Gebäude. Die Freiflächen gliedern sich in Bauland und landwirtschaftliche Nutzfläche. Während das Wiener Restaurant „Steirereck“ seit vielen Jahrzehnten zur gastronomischen Spitze Österreichs und seit mehr als 10 Jahren zu den „The Worlds 50 Best Restaurants“ zählt, wird neben der zeitgemäßen Ausrichtung des gastronomischen Konzeptes immer ein besonderes Augenmerk auf die besondere Nachhaltigkeit der eigenen Aktivitäten gelegt, die ihren (landwirtschaftlichen) Ursprung in der steirischen Liegenschaft haben. Mit dem Projekt des Um- und Zubaus des „Steirereck am Pogusch“ wollte die Familie Reitbauer zeigen, wie innovativ ein gastronomischer Betrieb geführt werden kann.
Die über Jahre und Generationen gewachsene Landwirtschaft mit angeschlossener Gastronomie stand weniger am Punkt einer inhaltlichen Neuorientierung, vielmehr sollte die schon gelebte achtsame Lebensweise im Gebauten manifestiert, für die Betreiber selbst und für die Gäste nutz-, spür- und sichtbar werden. Die Herausforderung bestand darin, eine von Naturerlebnis geprägte Situation und einen hoch anspruchsvollen, zeitgemäßen Gastronomiebetrieb innerhalb einer harmonischen Gesamtlösung in die Zukunft zu führen. Das Neue darf sichtbar sein, demonstriert Lebensperspektive des 21. Jahrhunderts abseits der Stadt, verknüpft mit dem Knowhow des 21. Jahrhunderts.
Darüber hinaus ist dieses Projekt Teil des Forschungsprogramms „Stadt der Zukunft“ des Bundesministeriums für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie. Die bestehenden Gebäude – vorhandene Küche, Beherbergung, Steinhaus, Holzhaus sowie Landwirtschaft – wurden durch PPAG architects durch relevante neue ergänzt. Dies sind eine moderne Küchenerweiterung, ein Salettl, zwei Glashäuser – warm und kalt –, spezielle Mitarbeiter- und Gästeunterbringung, sowie die Erweiterung sichtbarer und unsichtbarer Infrastruktur. Durch unterschiedliche, zurückhaltende Eingriffe bilden Bestandsgebäude und Zubauten ein dörfliches Ensemble im Maßstab der ländlichen Bebauung. PPAG architects haben zudem zahlreiche Details wie biomorphe Türgriffe, 3D-gedruckte Waschbecken und raumwirksame Holzlamellenvorhänge entworfen, die dem Projekt die Dimension einer Art hochmodernen Gesamtkunstwerkes verleihen – und die Besucher*innen in eine ungewohnte Bergwelt entführen.
Steinhaus und Holzhaus
Der Bestand, also das Steinhaus aus dem 17.Jahrhundert und das Holzhaus sowie Teile der Küche, wurden ordentlich „durchgekehrt“, was den Häusern guttut und die schönen alten Strukturen hervorbringt. Was brauchbar ist, blieb, vieles wurde hergerichtet, sowie neue Möbel eigens gestaltet. Neu dazu kamen sichtbare Weinkeller für Rot-, Weiß-, und Schaumweine, ein Hofladen, moderne Toiletten im Untergeschoss und kontrastierende Übergänge zum neu errichteten Salettl sowie der Schankkuchl. Auf die Nutzung hochwertiger, lokaler Materialen und traditioneller Handwerkstechniken im Einklang mit einer zeitgenössischen Gestaltung wurde besonders geachtet.
Die Hangverläufe änderten sich trotz maßgeblicher Baumaßnahmen so gering wie nur möglich. Der Aushub wurde am Areal wieder eingepflegt. Die Positionierung der neuen Gebäude im Verhältnis zum Bestand und die sich dazwischen entfaltenden Wegerelationen sprechen die selbstverständliche Sprache vernakulärer Bauweise. Die Übergänge zwischen den Zonen sind trotz Radikalität des Neu Gesetzten harmonisch und selbstverständlich, die gesamtheitliche Wirkung ist letztlich in gewissem Sinn unaufgeregt normal. Erneuerung, bewusst, in jeder Faser, aber ohne unnötiges Getöse.
Salettl
Das neue Salettl bildet zusammen mit dem bestehenden Steinhaus und Holzhaus ein differenziertes Gastraumangebot, das unterschiedliche Vorstellungen von Gastlichkeit und Atmosphäre bedienen kann. In Ergänzung zum Bestand ist es offen und transparent mit Ausblick auf die umgebende Natur. Die räumliche Behaglichkeit kommt von flexiblen, veränderbaren Holzlammellenvorhängen und Wandverkleidungen aus Bio-Wollfilz. Dank der verschiedenen Positionierungen von 26 Lamellen-vorhängen aus Eiche, die von der Decke hängen, ergeben sich unterschiedliche Nutzungsszenarien im Salettl. Es kann auf einfache Weise, rasch und unkompliziert eine Vielzahl von verschiedenen Raumbereichen erzeugt werden. Die Fassadenverkleidung aus Alusion-Aluminiumschaum und die Kubatur des Daches signalisieren Zukunftsgewandtheit im Einklang mit Tradition und der umgebenden Landschaft.
Schankkuchl
Die Schank- und Feuerküche mit großem Grill als der für den Gast präsente Teil der Küche ist tagesabhängig hell und transparent oder atmosphärisch und dunkel vor dem Hintergrund des Grills: ein starker Raum im Herzen des Hauses. Hier kommt auch ein leichtes und zugleich hoch tragfähiges Holzbauelement zum Einsatz: eine Kielstegdecke. Bei alternierender Verlegerichtung werden jene Anschnitte sichtbar, die bei der Normanwendung verborgen bleiben. Die dünnen gebogenen Sperrholzplatten, die Ober- mit Untergurt verbinden, werden zum Lampenschirm des Gastbereichs umfunktioniert.
Großes und kleines Glashaus
Glashäuser in dieser Höhenlage auf über 1.050 m.ü.A. stellen eine besondere Herausforderung dar. Enormer Forschungstrieb, in geringem Ausmaß Nutzpflanzenzucht und nicht zuletzt innovative, unkonventionelle Gästeunterbringung sind die inhaltlichen Schwerpunkte der Glashäuser. Es handelt sich um ein kaltes und ein warmes Glashaus, die jeweils unterschiedliche Aufgaben erfüllen: Das große, kalte Glashaus (Mindesttemperatur um den Gefrierpunkt) wird für ganzjährige Pflanzenzucht verwendet. Hier gibt es des Weiteren unkonventionelle Übernachtungsmöglichkeiten für unkonventionelle Gäste: die Kabanen. Unter dem kalten Glashaus liegt eine dazu passend spezielle Badelandschaft. Das warme Glashaus (ca. 22°) versorgt, an diese angeschlossen, die Küche mit frischen Kräutern & Gewürzen und ist intimer Backstagebereich für das Pogusch-Team, in dem sich neue Ideen entwickeln lassen. Beide Glashäuser sind über Atrien mit dem darunterlegenden Küchen-Hinterland verbunden und werten dieses durch direktes Tageslicht auf. Diese große Welt im Verborgenen und im Hintergrund, die für das Wohl des Gastes verantwortlich ist, tritt im Postkartenbild kaum in Erscheinung. Doch unter der Grasnarbe befinden sich gut belichtete Arbeitsplätze mit hoher räumlicher Qualität.
Nachhaltigkeit
Das komplette Projekt wurde in Zusammenarbeit mit regionalen Handwerksbetrieben realisiert. Darüber hinaus wurde der Schwerpunkt auf die Versorgung mit erneuerbaren Energien (Heizung, Kühlung, Strom) gelegt, ergänzt durch Maßnahmen zur Verringerung des Ressourcenverbrauchs (Lebensmittelproduktion vor Ort, Kreislaufwirtschaft, Kompostierung, ökologische Auswahl von Baumaterialien) und Reduzierung des mobilitätsbedingten Energie- und CO2-Verbrauchs. Das neue Konzept führt trotz der isolierten Lage in den Bergen zu einem nahezu energieautarken, ressourcenschonenden Hospitality-Projekt.
Für den gesamten Standort wurde ein Plus-Energie-Standard erreicht. Das Energiekonzept verbindet bestehende und neu zu errichtende Strukturen zu einer Systemlösung. Die bereits bestehenden Versorgungssysteme (150 kW Holzhackschnitzelanlage, 100m² Solarthermieanlage und eine 5 kWp Photovoltaikanlage) bilden die Basis. Die Neubauten wurden im Niedrigenergiestandard unter teilweiser Verwendung von Passivhauskomponenten konzipiert. Eine kontrollierte Lüftung mit Wärmerückgewinnung ist überall Standard. Die Wärmeabgabe erfolgt über Niedertemperatursysteme (Fußboden- und Wandheizung). Die Gewächshäuser wurden nach einem hohen Wärmestandard konzipiert. Die bereits bestehenden Gebäude, die sich in einem sehr guten thermischen Zustand (50 kWh/m²a) befinden, sind mit einer kontrollierten Lüftung und Wärmerückgewinnung ausgestattet.
Projekt: |
Projektname: STEIRERECK AM POGUSCH |
Architekturbüro: PPAG architects |
Projektteam: Anna Popelka, Georg Poduschka, Paul Fürst, Lukas Ortner, Christian Wegerer, Jakub Dvorak, Billie Murphy, Jonas Steinmetz, Maximilian Keil |
Bauherrschaft: Steirereck Stadtpark GmbH |
Tragwerksplanung: Werkraum Ingenieure ZT-GmbH |
Planungsphase: Mai 2018 - März 2022 |
Bauphase: März 2020 - Juni 2022 |
Fertigstellung: 1.06.2022 |
Gesamtfläche: 3700 m² |
Nutzungsfläche: 3170 m² |
Baujahr Bestand: 1616 |
Auszeichnungen: 2023 Nominierung für den Mies van der Rohe Award 2024 2023 Nominierung für den Staatspreis Architektur der Republik Österreich 2023 Architekturpreis des Landes Steiermark 2023 |
Auftragnehmer: |
Rahmenlose Fenster im Salettl und in der Schankküche: Sky-Frame AG Das Sky-Frame System ist das erste weltweit zertifizierte thermisch getrennte Metallscheibefenster. Sky-Frame hat sich bei Bauherren und Architekten als international führender Anbieter von Schiebefenstersystemen etabliert und betreibt Filialen in Antwerpen, London, Los Angeles, Mailand, Rothrist und Wien. Das Familienunternehmen realisiert rund um den Globus massgeschneiderte Architekturträume und individuelle Lebensräume und bietet getreu dem Markenversprechen «A view, not a window» kein Fenster, sondern Aussicht. 2015 bezog die Sky-Frame AG ihren Hauptsitz in Frauenfeld, wo das Premiumprodukt entwickelt und produziert wird. Beat Guhl bekennt sich somit zum Standort Schweiz – zu seiner Heimat, in der alles begann. |
Grundrisse
* Titelfoto: Steirereck am Pogusch (Foto: © Herta Hurnaus)